PlattformPrivatheit2024: Jahreskonferenz der Plattform Privatheit: Freiheit in digitalen Infrastrukturen Villa Elisabeth Berlin, Germany, October 17-18, 2024 |
Conference website | https://plattform-privatheit.de/p-prv/jahreskonferenzen/jahreskonferenz-2024.php |
Submission link | https://easychair.org/conferences/?conf=plattform2024 |
Abstract registration deadline | June 30, 2024 |
Submission deadline | July 1, 2024 |
Die Plattform Privatheit (bis 2022 Forum Privatheit) veranstaltet seit fast 10 Jahren eine interdisziplinäre wissenschaftliche Jahrestagung. Sie bietet vor allem der deutschsprachigen Community Gelegenheit, ihre Forschungen zum Thema Privatheit, Datenschutz und digitales Leben zur Diskussion zu stellen.
Zum Freiheitsbegriff und digitalen Infrastrukturen
Freiheit als Abwehr von ungerechtfertigter Machtausübung und Schutz vor Machtmissbrauch ist Voraussetzung für individuelle Selbstentfaltung und kollektive Selbstbestimmung. Grundrechte und Demokratie sollen diese Freiheit gewährleisten. Sie sollen die Ausübung von Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Gewissensfreiheit, Wissenschaftsfreiheit und Wahlfreiheit ermöglichen und vor Diskriminierung schützen. Auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die Achtung des Privat- und Familienlebens und der Schutz personenbezogener Daten sind Bedingungen von Freiheit. Wie individuelle und kollektive Freiheit gelebt werden kann, ist abhängig von den gesellschaftlichen, technischen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen, unter denen sie ausgeübt werden soll. In der modernen Welt sind für die Freiheitsausübung die gesellschaftlichen Infrastrukturen von entscheidender Bedeutung.
Infrastrukturen sind netzartige sozio-technische Systeme die verlässlich einen einheitlichen Satz von Leistungen anbieten, die von Interessierten als Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens, als Eröffnung von Handlungsmöglichkeiten und als Schutz gegenüber Lebensrisiken genutzt werden können – wie für Kommunikation, Energieversorgung, Güteraustausch, Mobilität oder Unterhaltung. Infrastrukturen sind daher Grundlagen für die Ausübung von Freiheit. Sie können aber auch durch die Abhängigkeit von ihren Leistungen, durch die Machsteigerung ihrer Anbieter und die Rigidität ihres Angebots Freiheitsausübung einschränken oder gefährden.
Digitale Infrastrukturen sind Bedingungen für das Leben in der digitalen Welt. Ohne sie wären digitale Kommunikation, Informationssuche, -verbreitung und -verarbeitung, sozialer Austausch, Handel, Mobilität sowie Hardware- und Softwarenutzung nicht möglich. Vor allem die Infrastrukturnetze und -plattformen von Google, Apple, Meta, Amazon und Microsoft bieten Leistungen, die derzeit Grundlagen für digitale Freiheitsausübung sind. Generative große Sprachmodelle wie ChatGPT entwickeln sich gerade zu einer weiteren digitalen Infrastruktur. Aber auch die Anbieter „alter“ Infrastrukturen wie Automobilhersteller, Energieversorger, Telekommunikationsanbieter oder Bahnbetreiber bauen digitale Infrastrukturen auf, ohne die ihre Leistungen nicht mehr genutzt werden können. Selbst der Staat errichtet neue Infrastrukturen wie Bürgerkonten und elektronische Zugänge zur Verwaltung. Alle diese digitalen Infrastrukturen verändern Machtgefüge und Freiheitsspielräume.
Die großen digitalen Infrastrukturen sind global und durchdringen überall auf der Welt in intensiver Weise das digitale Leben. Ihre Marktanteile sind monopolartig und ihre Anbieter haben den mit Abstand höchsten Marktwert aller Unternehmen weltweit. Für diese ungeheure ökonomische Macht gibt es vor allem zwei Gründe: Zum einen sind ihre Angebote für das digitale Leben hilfreich und verführerisch und zum anderen sind sie „umsonst“. Die Abhängigkeit von ihnen ist hoch und wird immer höher. Diese ökonomischen Erfolge erzielen sie vor allem durch die Verarbeitung der Daten ihrer Nutzenden. Mit deren Hilfe erstellen sie Personenprofile, beuten Subjektivität der Betroffenen aus, verkaufen ihre Aufmerksamkeit, steuern ihre Informationen und beeinflussen ihr Denken. Mit ihrer Informationsmacht versuchen sie, ihr Verhalten zu beeinflussen oder gar steuern – bisher noch insbesondere für Konsumwahl und Kundenbindung, potentiell aber auch für andere Verhaltensformen wie z.B. Wahlentscheidungen. Politisches Micro-Targeting könnte auf der Grundlage der Personenprofile leicht zur Manipulation demokratischer Wahlen verwendet werden. Zahlreiche weitere Techniken der Verhaltensmanipulation wie z.B. Dark Patterns stehen zur Verfügung. Die gleichen Infrastrukturen, die Freiheit und Demokratie unterstützen können, entwickeln sich zu ihren Gefährdern.
Die Anbieter globaler digitaler Infrastrukturen ignorieren vielfach die demokratischen Entscheidungen in Europa oder Deutschland. Sie legen ihrem Handeln eigene Regeln zugrunde, die den europäischen oder nationalen Regelungen widersprechen. Sie wollen ihre eigene Rechtsordnung – verkleidet als Vertragsbedingungen – weltweit durchsetzen.
Die Europäische Union hat neue Regelungen geschaffen, um Gefahren durch die globalen digitalen Infrastrukturen einzuschränken und deren Macht zu begrenzen. Vor allem die Digitale Dienste-Verordnung, die Digitale Markt-Verordnung und die Datenschutz-Grundverordnung haben Regelungen geschaffen, um die Freiheit des Individuums zu schützen, die Voraussetzungen eines funktionierenden Marktes zu erhalten und demokratisch festgelegte Regeln des Zusammenlebens durchzusetzen. Ob diese Regelungen genügen werden, um die verfolgten Ziele zu erreichen, muss sich erst noch erweisen. Sie sind jedenfalls sinnvolle erste Schritte zur Freiheitssicherung und Machtbegrenzung.
Im Rahmen der diesjährigen Konferenz der Plattform Privatheit wollen wir uns interdisziplinär mit den Gestaltungsherausforderungen und -möglichkeiten auseinandersetzten, um Freiheit und Selbstbestimmung in digitalen Infrastrukturen zu stärken und unerwünschte Entwicklungen zu vermeiden. Diskutiert werden sollen technische, ökonomische, soziale, politische, rechtliche, kulturelle und pädagogische Ansätze, um den Schutz der Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung in der digitalen Welt weiterzuentwickeln. Dabei werden normative, institutionelle und instrumentelle Konzepte eines freiheitsfördernden Datenumgangs im Kontext digitaler Infrastrukturen diskutiert. Es sollen auch konstruktive Bausteine für eine zukunftsgerechte Gewährleistung individueller und kollektiver Selbstbestimmung und Grundrechte erörtert werden.
Mögliche Themen
Die folgenden Themenkomplexe werden exemplarisch behandelt und bieten eine erste, nicht abschließende Vorsortierung der Themen, denen sich die Beiträge widmen können:
- Wie wirken sich digitale Infrastrukturen positiv oder negativ auf die Freiheit der Nutzerinnen und Nutzer aus? Können dateninvasive Technologien einen relativen Freiheitsgewinn ermöglichen? In welchem Verhältnis stehen persönliches Freiheitsempfinden sowie die faktische Gewährleistung von bzw. der Verstoß gegen Datenschutzregelungen zueinander?
- Wie sind unterschiedliche Ansätze der Regulierung von digitalen Infrastrukturen zu bewerten? Welche Akteure, Wirtschaftssektoren, Staaten und Regionen ziehen ggf. welche Vorteile oder Nachteile aus unterschiedlichen Ansätzen? Wessen Freiheiten werden dabei in welcher Weise besser geschützt oder beeinträchtigt?
- Welche Bedeutung hat Daten- und Technologie-Souveränität für den Umgang mit digitalen Infrastrukturen. Sollten nationale und internationale Mechanismen oder Rechtsinstrumente versuchen, das Angebot von digitalen Infrastrukturen zu regulieren, sei es aus Gründen der Durchsetzung von Vorschriften durch Unternehmen, des Kartellrechts, des Datenschutzes oder anderer Belange des öffentlichen Interesses? Welche Maßnahmen (Festlegung von Standards, Harmonisierung von Vorschriften, etc.) lassen sich besser auf nationaler Ebene angehen und in welchen Bereichen ist internationale Zusammenarbeit aus welchen Gründen weiterhin geboten?
- Wie kann sichergestellt werden, dass normative Grundlagen, insbesondere der Schutz individueller Grundrechte, auch in den Strukturen einer internationalen Governance verankert werden? Wie kann der Datenschutz etwaigen systemischen Verschiebungen zulasten der Betroffenen begegnen?
- Welche Auswirkungen hat die anhaltende Konzentration wesentlicher Infrastrukturen in den Händen einiger großer Plattformanbieter auf die Freiheit von Betroffenen, aber auch auf andere Unternehmen/Konkurrenten? Kann dieser Konzentrierung mit Mitteln der Kartell- und Wettbewerbsaufsicht begegnet werden? Inwieweit können die Kartell- und Wettbewerbsaufsicht auch das Ziele der Gewährleistung eines freiheitsfördernden Datenumgangs umsetzen? Welche Alternativen bestehen?
- Welche relevanten technischen Funktionen stellen adäquate Ergänzungen zur Datenschutz-Grundverordnung dar? Inwiefern können Privacy-Enhancing-Technologies (PETs) zum Instrument einer globalen Regulierung werden? Wie können PETs eingesetzt werden, um Selbstbestimmung gegenüber digitalen Infrastrukturen zu sichern? Wie können die Voraussetzungen bzw. Rahmenbedingungen für die Umsetzung solcher PETs geschaffen werden?
- Welche individuellen und unternehmerischen Kompetenzen und Motive und welche gesellschaftlichen (etwa familiären, wirtschaftlichen, aber auch politisch-institutionellen und technischen) Verwirklichungsbedingungen sind erforderlich, um in digitalen Infrastrukturen Freiheit und Grundrechte ausüben zu können? Wie kann Digitale Souveränität und/oder Datensouveränität als Handlungsfähigkeit von Individuen sichergestellt werden?
- Wie können Akteure wirksam zur Einhaltung oder Übererfüllung rechtlicher (Datenschutz-) Vorgaben motiviert werden? Was sind die Voraussetzungen und Maßnahmen für eine wirksame Durchsetzung der Vorschriften in konkreten Anwendungsfällen?
- Demokratische Wahlen sind ein Grundpfeiler einer freiheitlichen Gesellschaft. Wie kann der Schutz der Wahlfreiheit gewährleistet werden angesichts datenbasierter Manipulationsversuche (z.B. personalisierte politische Werbung) oder sonstiger Versuche der Einflussnahme?
Leitfaden für Einreichungen
Dieser Aufruf richtet sich an alle Forschenden der technischen, sozial- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen, der Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Psychologie, Philosophie sowie der Kommunikationswissenschaft. Besonders begrüßt werden fachübergreifende Einreichungen.
Vorschläge für Vorträge und Poster können in Form eines aussagekräftigen „Extended Abstracts“ (Umfang: 500-1.000 Wörter) über das Konferenzmanagementsystem EasyChair eingereicht werden: https://easychair.org/conferences/?conf=plattformprivatheit 2024
Die Konferenzsprache ist Deutsch, Beiträge auf Englisch sind ebenfalls möglich.
Termine
- Frist für die Einreichung von Abstracts: 15. Juni 2024
- Benachrichtigung über die Annahme: 15. Juli 2024
- Konferenz: 17-18. Oktober 2024
- Einreichung von Beiträgen für den Tagungsband: Februar 2025
- Erscheinungsdatum des Tagungsbandes: ca. September 2025
Verantwortliche
Programmkomitee
- Michael Friedewald, Alexander Roßnagel, Murat Karaboga, Christian Geminn
Wissenschaftskommunikation
- Barbara Ferrarese
Organisation
- Susanne Ruhm
Veröffentlichung der Beiträge
Tagungsband: Ausgewählte Beiträge der Tagung werden in einem Sammelband veröffentlicht, der in der Reihe „Privatheit und Selbstbestimmung in der digitalen Welt“ im Nomos-Verlag, Baden-Baden erscheinen wird. Poster-Präsentatoren haben die Möglichkeit, einen Kurzbeitrag in den Posterproceedings zu veröffentlichen.
Veranstaltungsort
Villa Elisabeth, Berlin
Kontakt
Für alle inhaltliche Anfragen: michael.friedewald@isi.fraunhofer.de
Für alle allgemeinen Anfragen: plattform.privatheit@isi.fraunhofer.de